Der SPD Unterbezirksvorstand hat auf seiner letzen Sitzung gemeinsam mit dem örtlichen Bundestagsabgeordneten, Michael Schrodi, das Thema Geflüchtete und die Auswirkungen auf die Kommunen diskutiert. Folgende Stellungnahme wurde dabei erarbeitet:
Das Jahr 2022 war ein besonderes Jahr. Zum ersten Mal seit 1945 findet auf europäischem Boden wieder ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg statt. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist Ursache für die größte Flüchtlingsbewegung in Europa seit dem Ende des 2. Weltkrieges: Über 1,5 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind vor Putins Armee alleine nach Polen geflohen, 500.000 nach Tschechien. Gemessen an der Einwohnerzahl haben Estland, Tschechien, Polen, Litauen, Slowakei, Lettland und Zypern die meisten Geflohenen aufgenommen – mit Anteilen an der Bevölkerung von 4,85 und 1,62 %. Auch Deutschland hat in dieser Ausnahmesituation richtig gehandelt und knapp 1,1 Millionen vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen einen sicheren Hafen geboten (1,23 %). Dies ist nicht nur ein humanitärer Akt, sondern auch internationale rechtliche Verpflichtung. Und es ist ein gesellschaftlicher Kraftakt, den wir nur gemeinsam schultern können. Wir sind unseren Bürgerinnen und Bürgern im Landkreis Dachau deshalb sehr dankbar für die große Welle der Hilfsbereitschaft, die sie den notleidenden Menschen aus der Ukraine entgegengebracht haben. Auch den Mitgliedern der Helferkreise muss großer Dank ausgesprochen werden: Nur durch ihre ehrenamtliche Arbeit konnte den zu uns geflüchteten Menschen geholfen werden. Die oft zermürbenden Verfahren im Dachauer Ausländeramt und die Auseinandersetzungen mit den örtlichen Behörden veranlassen jedoch immer mehr Helferinnen und Helfer, ihre Arbeit zu beenden.
Dabei wissen wir, dass es für Bund, Länder und vor allem auch Teile der Kommunen einen großen Kraftakt darstellt, die stark gestiegene Anzahl Geflüchteter solidarisch aufzunehmen. Unsere Gemeinden wollen diese Aufgabe stemmen. In einigen sind die Voraussetzungen besser, für andere spitzt sich die Situation zu. Wir wollen, dass alle Kommunen diese Aufgabe stemmen können.
Wir setzen uns deshalb für eine pragmatische, lösungsorientierte Herangehensweise ein. Dazu gehört zunächst die Betrachtung dessen, was ist: Neun von zehn Geflüchteten kamen im Jahr 2022 aus der Ukraine. Neben den 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern haben 217.000 Menschen aus anderen Ländern einen Asylantrag gestellt. 80 % dieser 217.000 Geflüchteten kamen aus zehn Ländern, darunter Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Russland und die Türkei mit hohen Anerkennungsquoten ihrer Anträge und damit Bleiberecht. Wir befinden uns damit in einer kriegs- und krisenbedingten Ausnahmesituation.
Die Versäumnisse der CSU-geführten Bayerischen Staatsregierung in den letzten Jahrzehnten rächen sich nun: Mehr Menschen konkurrieren um die vorher schon zu wenigen bezahlbaren Wohnungen; mehr Kinder müssen auf die zuvor schon zu wenigen Kinderbetreuungsplätze aufgeteilt werden; mehr Jugendliche müssen von zu wenigen Lehrerinnen und Lehrern in zu großen Klassen unterrichtet werden. Die Probleme waren weit vor den großen Fluchtbewegungen 2015 und 2022 vorhanden, die Menschen, die zu uns kommen, sind nicht die Ursache für die Knappheiten. Was festgehalten werden muss: Die nach unserer Verfassung klar geregelte Verantwortung für den Wohnungsbau, für Unterricht und Kultus, für die Kommunalfinanzen wie auch für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten liegt bei der CSU-geführten Bayerischen Staatsregierung. Ausgerechnet das „reiche“ Bayern, das so gerne beansprucht, besser dazustehen als die anderen Bundesländer, seine Kommunen zum Teil alleine. Markus Söder und sein Kabinett dürfen sich nicht länger wegducken.
Der Blick zurück auf die Versäumnisse allein hilft den Kommunen nicht. Sie brauchen jetzt schnelle Unterstützung. Deshalb unterstützen wir konkrete Vorschläge, wie wir auf allen politischen Ebenen die Aufgabe der Unterbringung und Integration von Geflüchteten in dieser Ausnahmesituation bewerkstelligen können.
Die Kommunen brauchen mehr finanzielle Mittel, beispielsweise für mehr Personal in den Verwaltungen, den Bildungseinrichtungen oder für Integrationsarbeit. Zuständig für Kommunalfinanzen sind die Bundesländer. Der Bund hat pauschale Entlastung in Höhe von insgesamt 3,5 Milliarden Euro in 2022 für die Ausgaben der Länder in Zusammenhang mit den Geflüchteten aus der Ukraine auf den Weg gebracht. Für das Jahr 2023 wurde bisher ein pauschaler Entlastungsbetrag von 1,5 Milliarden Euro vereinbart. Für Geflüchtete aus anderen Staaten zahlt der Bund eine allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale in Höhe von 1,25 Milliarden Euro jährlich. Eine EU-Richtlinie sorgt zudem für einen unmittelbaren vorübergehenden Schutzstatus der ukrainischen Geflüchteten. Sie sind damit nicht Bezieher von Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sind mit dem sog. Rechtskreiswechsel in der Grundsicherung, was die Länder zusätzlich um gut 6 Milliarden Euro entlastet. Von den rund 556 Millionen Euro, die der Freistaat laut Haushalt für das Jahr 2023 zusätzlich für die Unterbringung von Asylbewerbern und sonstiger Ausländer aufbringen will, stammen 381 Millionen Euro, also fast 70 % der Mehrausgaben, vom Bund. Der Freistaat bringt lediglich 176 Millionen Euro zusätzlich auf. Der Freistaat Bayern hat nun die Verpflichtung, diese Gelder an die Kommunen weiterzureichen und für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Städte und Gemeinden zu sorgen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können.
Die Geflüchteten müssen in Wohnungen untergebracht werden. Der Bund hat bereits 333 Liegenschaften mit 69.000 Plätzen zur Verfügung gestellt. In Bayern werden aktuell 31 Bundes-Liegenschaften mit einer Kapazität von 11.284 Plätzen bereitgestellt. Weitere bundeseigene Immobilien sollen nun unter Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden Kapazitäten mobilisiert werden, und das mietzinsfrei. Der Freistaat Bayern muss nun auch (mehr) landeseigene Liegenschaften zur Verfügung stellen.
Zudem muss der Freistaat Bayern muss nun mehr staatseigene Grundstücke mobilisieren. Bisher werden lediglich 36 Grundstücke zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt. Auf 29 Grundstücken wurden Rahmen des Wohnbausofortprogramms Wohnraum für anerkannte Geflüchtete 427 Wohneinheiten geschaffen. Der Freistaat Bayern muss hier seine Anstrengungen deutlich steigern und auch wieder verstärkt die Anmietung dezentraler Wohnungen möglich machen.
Polen, Tschechien oder auch Irland haben die Unterbringung einer großen Anzahl Geflüchteter nur durch finanzielle Anreize für Bürgerinnen und Bürger bewerkstelligt, die Geflüchtete gegen ein Entgelt privat untergebracht haben. Auch der Freistaat Bayern soll die Kommunen in die Lage versetzen, durch solch finanzielle Anreize temporär mehr Wohnraum zu mobilisieren.
Die Verteilung der Geflüchteten muss ausgewogener erfolgen, von Europa bis zur Kommune. Aktuelle verzeichnen wir zwischen den Kommunen teils größere Unterschiede bei der Unterbringung von Geflüchteten. Hier gilt es alle Gemeinden und Städte gleichermaßen in die Pflicht zu nehmen, um die Belastung Einzelner zu verringern. Wir werden uns als Regierungsfraktion dafür stark machen, dass auch weitere europäische Staaten solidarisch helfen. Während der Fluchtbewegung 2015 hatten sich die osteuropäischen Visegrad-Staaten gegen eine europäische Verteilung ausgesprochen. 2022/23 haben Polen und Tschechien einen Großteil der Geflüchteten aufgenommen. In anderen europäischen Staaten wie beispielsweise Frankreich waren es lediglich 150.000 Menschen oder weniger.
Wir wollen, dass die Bundesregierung zeitnah Migrationsabkommen schließt. Dazu hat die Bundesregierung mit Joachim Stamp einen Sonderbeauftragten für Migrationsabkommen bestellt. In Ländern mit Migrationsabkommen kann die Rückführung abgelehnter Asylbewerber schneller vollzogen werden. Auch zur Beschleunigung von Asylverfahren ist im Januar 2023 ein Gesetz in Kraft getreten. Bereits im Jahr 2022 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 50 % mehr Asylanträge bearbeitet. Die bisherige Linie Bayerns, schnellere Verfahren in den nur im Freistaat eingerichteten Ankerzentren durchzuführen, ist hingegen gescheitert. Wir fordern den Freistaat Bayern auf, die Ankerzentren zu schließen und in normale Unterkünfte umzuwandeln. Es muss jedoch klargestellt werden: 90 % aller Geflüchteten sind Ukrainerinnen und Ukrainer, die einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Von den übrigen 10 % Geflüchteten wird ebenfalls ein großer Anteil anerkannt und erhalten Bleiberecht. Schnellere Asylverfahren und Abschiebungen würden somit die Rückführung von wenigen tausend Geflüchteter bewirken. Sie sind damit keine Instrumente, mit denen Städte und Gemeinden substanziell entlastet werden. Der anerkannte Migrationsforscher Gerald Knaus sagte in einem Interview auf „Zeit Online“ vom 9. Februar 2023 ganz richtig: „Wer aber heute suggeriert, dass mehr Abschiebungen in einer Situation, in der neun von zehn aufgenommenen Flüchtlingen 2022 legal aus der Ukraine kamen, die Kommunen entlasten würden, der weckt Erwartungen, die unerfüllbar sind. Und macht damit das Geschäft jener Populisten, die ohnehin von Angst und Zorn gegen angeblich verräterische Eliten angetrieben sind. Das kann keine demokratische Partei in Deutschland wollen.“
Ein baldiges Ende des grausamen Krieges in der Ukraine wäre die schnellste Art und Weise, den Ukrainerinnen und Ukrainer und auch uns zu helfen. Putin kann diesen Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen zurückzieht.
Wir werden alles dafür tun, damit die Ukraine sich verteidigen und dem völkerrechtswidrigen Angriff standhalten kann. Gleichzeitig müssen die diplomatischen Bemühungen für einen Waffenstillstand und einen gerechten Frieden fortgesetzt werden. Bis diese Ziele erreicht ist, werden wir den aus der Ukraine und aus anderen Krisengebieten Geflüchteten eine Heimat geben. Willy Brandts Satz „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden – im Inneren und nach außen“ hat für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch heute seine Aktualität nicht verloren.