SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl spricht im Drei-Rosen-Saal über das Freihandelsabkommen TTIP und seine möglichen Folgen
Landkreis Dachau - Das Interesse war größer als erwartet: Die Dachauer Initiative Stopp TTIP! und die SPD im Landkreis hatten gemeinsam zu einer Informationsveranstaltung über das umstrittene Freihandelsabkommen eingeladen und wurden vom Besucheransturm überrascht. Es dauerte also ein paar Minuten, bevor die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl im eilig nachbestuhlten Saal mit ihrem Vortrag beginnen konnte.
Das geplante europäisch-amerikanische Abkommen verglich Noichl mit einer verschlossenen Schachtel, deren Inhalt in den oberen Lagen teilweise ganz plausible Regelungen enthalte, darunter aber mit „giftigen“ Papieren gefüllt sei. Die öffentliche Diskussion habe sich zu sehr auf die im Vertrag vorgesehenen Schiedsgerichte eingeschossen, sagte die Abgeordnete. Es gehe aber nicht in erster Linie darum ob das nun vor einer Schiedskommission geschehe oder vor einem „richtigen“ Gericht. Ihrer Meinung nach ist aber das Sonderklagerecht an sich das eigentliche Problem. „Warum sollten Unternehmen das Recht haben, andere Staaten zu verklagen, wenn das dem Verbraucher gleichzeitig verwehrt bleibt?“
Noichl erinnerte die Zuhörer an die Abläufe in Brüssel, wo die Regierungschefs Aufträge an die von ihnen selbst bestellten EU-Kommissare erteilten, das Parlament aber kein Initiativrecht habe. „Uns bleibt nur, für das Gesamtpaket mit Ja oder Nein zu stimmen“, die EU-Abgeordneten könnten nicht - wie beispielsweise ein Gemeinderat - einzelne Elemente aus dem Vertrag streichen oder ändern. Weil aber im Abkommen selbst festgelegt sei, dass es auf allen politischen Ebenen bindend ist, wären auch kommunalpolitische Entscheidungen von TTIP direkt betroffen.
Martin Güll, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der LandkreisSPD, begrüßt die kritische Auseinandersetzung zum Thema: „Bei jedem Abkommen muss man streng auf die ‚roten Linien‘ achten – sind die nicht berücksichtigt, muss man es ablehnen.“ Die engagierte Europaabgeordnete sieht in TTIP, dem ähnlich gestalteten Dienstleistungsabkommen TISA und dem bereits ausverhandelten CETA-Vertrag eine echte Gefahr für die Demokratie. Mit dem Argument, es entstünden dadurch Handelshemmnisse, könnten parlamentarische Entscheidungen durch Unternehmen schon im Vorfeld blockiert werden. An diesem Punkt setzten auch zahlreiche Nachfragen der Zuhörer ein, die erfuhren, dass zum Beispiel sogar öffentliche Förderung für Volkshochschulkurse als unliebsame Konkurrenz für private Sprachschulanbieter und damit als Handelshemmnis interpretiert werden könnte.
Maria Noichl hofft, dass schon das CETA-Abkommen, dessen Dokumente derzeit für die Abgeordneten übersetzt würden, im EU-Parlament scheitern wird, obwohl auch im internationalen sozialdemokratischen Lager der Parlamentarier derzeit noch keine einheitliche Position dazu gefunden sei. Es gäbe tatsächlich viele Abgeordnete, so Noichl, die sich für ihre Länder wirtschaftliche Vorteile von den neuen Abkommen erhofften, zum Teil auch deshalb, weil sie – und das betrifft vor allem die neuen EU-Staaten Osteuropas - bisher noch nachteiligere Verträge mit den USA hätten. Noichl: „Da müssen wir Verständnis zeigen – nicht jeder argumentiert aus einer so satten Position wie wir Deutschen. Wichtig am Ende bleibt, dass die Stimmen für die Ablehnung reichen.“ Sie bat ihre Zuhörer, weiter aktiv zu bleiben und Druck auf die Abgeordneten aller Parteien auszuüben.
Auf ausdrückliche Nachfrage von Wolfgang Tins, dem Initiator der Veranstaltung des Bündnisses Stopp TTIP!, wollte sich kein Befürworter aus dem Publikum zu Wort melden. Schon in der Einladung hatte er geworben, dass sie sich einer offenen Diskussion stellen sollten. In der Bevölkerung scheint sich aber immer mehr die Einsicht durchzusetzen, dass TTIP weit mehr als ein Handelsvertrag ist. Noch mehr Macht würde auf die Großkonzerne verlagert und freie demokratische Entscheidungen im Vorfeld beschnitten. Der Handel und die Gewinne daraus erhielten absolute Priorität etwa vor Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz. Durch das bilaterale Abkommen werden alle anderen Länder bezüglich ihrer Exportchancen benachteiligt – am stärksten die sowieso schon schwachen. Das wird die Quellen der Flüchtlingsströme in Afrika stärker sprudeln lassen. Dabei ist massive Hilfe für diese Länder längst überfällig, um dieses Problem langfristig zu lösen. Wir sehen, das „TTIP-Gift im Schachterl“ wirkt universell.